Dienstag, 29. September 2015



Steinhuder Meer im Nebel


Vom Wandern in der Ebene: Vom Steinhuder Meer nach Bad Nenndorf 


Der Alte Winkel ist ein gemütliches Fischrestaurant in einem alten Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert mit fairen Preisen und einem unglaublich leckeren Frühstück. Zu unserem Zimmer mit Seeblick (in weiter Ferne) geht’s eine steile Stiege hoch. Während wir noch den Rucksack auspacken fängt Hannes plötzlich an zu frieren und wir drehen schon mal die Heizung hoch. Jetzt erst mal heiß duschen. Dann essen wir sehr lecker Fisch zu Abend. Hannes kann es aber nicht recht genießen, will nur noch ins Bett. Oh, je, hoffentlich wird er nicht krank. Wir klettern gleich nach dem Essen die steile Treppe wieder hoch, Hannes klappert mit den Zähnen und verschwindet unter seiner Decke. Zum Glück finde ich im Schrank noch eine zusätzliche Wolldecke, die packe ich ihm obendrauf. Gleich darauf ist von meinem Liebsten nichts mehr zu hören, außer, na ja, ein leises Schnurren.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, sitzt Hannes schon im Bett und liest wie üblich die Zeitung auf seinem Handy. Wie, bist du nicht mehr krank? Wer, er? Wie komme ich darauf. Ihm ist „vögeleswohl“. Jetzt hat er Hunger, Frühstückshunger. Unten ist unser Tischchen schon gedeckt. Die friesisch blonde Wirtin von gestern Abend ist nicht mehr da. Dafür eine sehr gesprächige Vertretung, eine begeisterte Reiterin, von der wir allerlei Interessantes erfahren. Zum Beispiel, dass im Alten Winkel jetzt ein modernes Zeiterfassungssystem installiert wird. Nicht um die Mitarbeiter besser kontrollieren, sondern um den Nachweis erbringen zu können, dass hier niemand trickst und der Mindestlohn korrekt ausbezahlt wird.

Unsere Wurst und Käseplatte schaffen wir beim besten Willen nicht. Kein Problem, wir bekommen eine Alufolie und dürfen die Reste einpacken. Damit kommen wir spielend über den Tag. Jetzt nur noch schnell ein Brot kaufen und dann kann’s losgehen. Beim Bäcker treffen wir die blonde Wirtin vom Abend. Wir bedanken uns nochmal für den freundlichen Service und das gute Essen. Sie freut das sichtlich und wünscht uns einen guten Weiterweg.


Meerbruchwiesen

Der E1 geht von Steinhude aus zunächst am See entlang und knickt dann nach Süden ab durch das idyllische Naturschutzgebiet Meerbruchwiesen Richtung Hagenburg und weiter nach Bad Nenndorf. Heute ist unser letzter Tag in der norddeutschen Tiefebene. Ab Bad Nenndorf wird es bergig. Der E1 taucht ein in die deutsche Mittelgebirgslandschaft: zuerst kommt der Deister, dann das Weser Bergland, der Teutoburger Wald und später das Eggegebirge. Wir freuen uns richtig darauf. Das Wandern in der Ebene macht uns nicht so recht Spaß. Uns fehlt der Wechsel von Anstrengung und Erholung. Geht es eine Steigung hinauf, ist man zuerst damit beschäftigt, einen Rhythmus zu finden. Dann geht es harmonisch, aber doch immer mit Anstrengung verbunden weiter. Höhenmeter um Höhenmeter. Und dann das Erfolgserlebnis, wenn man es mal wieder „geschafft“ hat, der Anstieg oder gar Berg bezwungen ist. Es ist immer ein kleines erhabenes Gefühl, wenn man von oben auf das inzwischen weit in der Ferne liegende Ausgangsziel schauen kann. So weit sind wir schon! Wir suchen dann mit den Augen unseren weiteren Weg: Über diesen Hügel müssen wir auf jeden Fall noch. Bestimmt liegt unser Hotel hinter diesem Bergrücken. Oder vielleicht eher hinter dem nächsten?
Am meisten vermissen wir im Flachland den Horizont.
Wir haben wunderschöne Moor- und Wiesenlandschaften durchquert. Sind an Flüssen entlang und durch Auwälder gewandert. Aber man weiß nie: Wie weit ist es noch ist bis zum nächsten Ziel. Man hat es nicht vor Augen, hat kein Gefühl für die Strecke. Es fehlen die Aussichtspunkte und die Ausblicke.

Kaliabraumhalde bei Bokeloh - auch Kalimandscharo genannt
Der erste „Berg“ den wir zu sehen bekommen, ist die riesige Abraumhalde vom Kalibergwerk Bokeloh, das letzte noch produzierende Kalibergwerk in Niedersachsen. Als wir aus einem Wäldchen herauskommen und plötzlich den mächtigen weißen Hügel vor uns sehen, wissen zuerst gar nicht, was wir da vor uns haben. Von weitem sieht er aus wie ein beschneiter Vulkan. Ein Blick auf unsere Karte klärt uns auf, hier ist die Abraumhalde eingetragen. Jetzt fällt uns auch der Geruch nach Kunstdünger auf. Es dauert lang, bis wir an diesem künstlichen Berg vorbei sind.
Beim nächsten von Menschenhand geschaffenen Monument machen wir Rast: Mittagspause am Mittellandkanal. Wir sitzen in der Sonne und schauen den Lastkähnen zu, die schwer beladen vorbeischippern. Es sieht putzig aus, wie jeder Kahn ein kleines Auto auf Deck geparkt hat. In den Fensterchen hängen Gardinen, auf der Leine flattert Wäsche. Richtige schwimmende Häuser mit Garten. Von wo nach wo geht eigentlich dieser Mittellandkanal? Ich habe das natürlich längst vergessen. Hannes weiß es fast. Wir googlen: Der Mittellandkanals ist die längste künstliche Wasserstraße Deutschlands und verbindet den Dortmund-Ems-Kanal mit WeserElbe und dem Elbe-Havel-Kanal. Letztlich ist er Teil einer Verbindung zwischen Rhein und Oder. Schon praktisch, wenn man sogar beim Wandern in der Natur ein Netz hat. Wir lesen noch ein wenig über dieses mittlerweile mehr als 100jährige Kanalwerk, essen dabei unsere mit den Frühstücksresten aus Steinhude üppig belegten Brötchen. Bis zu nächsten Brücke wandern wir etwa 2 Kilometer am Kanal entlang, dann wechseln wir auf die andere Seite und tauchen in einen dichten Wald in Richtung Bad Nenndorf ein.


Bad Nenndorf hat eindeutig seine große Zeit als Kurbad bereits überschritten. Der Altersdurchschnitt erscheint uns mindestens Ü 60. Viele der früher bestimmt schicken Pensionen und Hotels sind heute Seniorenresidenzen. Hier scheinen die Senioren von halb Niedersachsen ihren Lebensabend zu verbringen. Die meisten Kurzzeit-Patienten sind offensichtlich wegen orthopädische Erkrankungen hier. Geworben wir aber auch mit den natürlichen Heilmitteln Moor, Schwefel und Sole. Wir fühlen uns irgendwie fehl am Platz. Nein, hier gefällt es uns nicht.

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