Mittwoch, 30. September 2015

Der Wirt der Teufelsbrücke wollte gern, dass wir gemeinsam aufs Bild kommen.

Hundstag – Erlebnisse mit Vierbeinern (Bad Nenndorf nach Bad Münder) 


Am nächsten Morgen müssen wir uns eingestehen, dass die Kuranlagen und der klassizistisch angehauchte Kurpark im Sonnenschein sehr elegant aussehen. Wir stürmen nicht gleich Richtung Deistergebirge, sondern bummeln noch zwischen den frisch renovierten historischen Kurgebäuden. Auf einer Infotafel entdecke ich wunderschöne Naturfotos von knorrig verwachsenen Bäumen an. Ich zeige sie Hannes: „Solche Fotos sollten wir mal machen können. Wo es wohl so krumme Dinger gibt?“ Herrje, unten auf dem Plakat steht es ja: Süntelbuchenallee im Kurpark von Bad Nenndorf. Wir müssen nur den Kopf heben und ein paar Schritte weitergehen, schon stehen wir am Anfang der etwa einen halben Kilometer langen Allee. Die Bäume wachsen eher in die Breite, als in die Höhe. Wie dicke Schlangen winden sich die Äste knapp über dem Boden entlang und scheinen sich dann ineinander zu verknoten. Nur wenige Bäume werden mehr als 10 Meter hoch. Eigentlich handelt es sich um eine Art Rotbuchen, die vor gut 100 Jahren hier angepflanzt wurden und seither im Zickzack wachsen. Angeblich, wegen einem Gendefekt. Genau weiß man das aber nicht.

Unsere treuesten Begleiter in der Frühe sind die Gassigeher. Drei Nenndorferinnen in den besten Jahren in modischen Jeans und Gummistiefeln haben mit ihren sehr lebhaften Lieblingen dasselbe Ziel wie wir: Raus aus dem Park und hinaus ins freie Feld. Die Hunde sind von der Leine und springen zu dritt auf uns zu: „Das macht Ihnen doch nichts aus, oder?“ Doch, tut es. Hannes reagiert säuerlich: „Können Sie die Hunde nicht anleinen?!“ Die Damen sind friedlich, rufen die Hunde zu sich und fragen nach unserem Weg. „Ach, in den Deister. Wunderschöner Weg. Sind wir schon oft gelaufen. Da müssen Sie nur über die Bundesstraße und dann später unter der Autobahn durch.“ Wie so oft erklären wir, dass wir nicht auf dem Jakobsweg unterwegs sind und: „Nein, die Rucksäcke sind nicht so schwer. Wir nehmen nur das Allernötigste mit.“ Wir bekommen noch ungefragt einige Wegbeschreibungen und den Tipp, unbedingt in der Waldgaststätte Teufelsbrücke vorbeizuschauen. „Machen wir, in Gasthäusern schauen wir immer gern vorbei.“

Der Weg zur Teufelsbrücke war nicht ganz so leicht zu finden. Die Gegend um Bad Nenndorf ist zwar für Wanderer gut erschlossenen und großzügig ausgeschildert. Aber manchmal wäre weniger eher mehr. So wissen wir vor lauter Wegweisern nicht so recht, welchen Weg wir einschlagen sollen und tappen ein paarmal hin und her. Dabei hätten wir im Grunde mehr oder weniger immer geradeaus den Berg hinauflaufen müssen.
An der Teufelsbrücke werden wir beinahe schon erwartet. Die Wirtin und ihr Partner sitzen vor der Hütte und trinken gerade selbst Kaffee. Sie hat bereits einen langen Spaziergang mit Hund hinter sich und zeigt ihrem Mann begeistert die Fotos auf dem Smartphone, die sie in aller Herrgottsfrühe gemacht hat. Ihre Begeisterung für die heimische Landschaft und ihre Tiere ist anrührend. Auch wir bekommen einen Kaffee und kommen ins Gespräch. Seit mehr als 20 Jahren lebt die Wirtin schon allein hier im Wald und managt das kleine Gasthaus. Am Wochenende ist viel los, dann wandern Ausflügler aus der Gegend hier an die Teufelsbrücke und genießen die Ruhe an diesem abgeschiedenen Plätzchen. Früher sei viel mehr los gewesen. „Jeden Tag habe ich einen Kuchen gebacken und ihn an Kurgäste aus Bad Nenndorf verkauft. Heute kommt kaum noch jemand unter der Woche die sechs Kilometer hier hoch. Die Leute schaffen das nicht mehr. Die meisten sind zu alt oder zu krank, um so weit zu laufen.“ Deutlich bekommt sie zu spüren, dass Kuren nur noch für kurze Zeit und an wirklich schwer gehandicapte Patienten verschrieben werden. „Wenn die Leute wieder fit genug sind, um so weit wandern zu können, ist ihr Kuraufenthalt zu Ende.“

Aus dem Hintergrund hören wir eine Art Gurren und Piepsen: „Halten Sie hier auch Hühner?“, fragen wir. Die Wirtin lacht. „Das ist unser Hund. Der gibt so komische Töne von sich. Ist aber sonst ganz normal.“ Wir schauen nach oben. Tatsächlich, zwischen den Balkonlatten lugt eine Hundeschnauze hervor. Ob der auch Eier legt, fragen wir. „Leider nein“, lacht unsere Wirtin wieder, „das wäre schon praktisch, hier draußen“.

Vormittags ist es an der Teufelsbrücke noch recht schattig. Trotz heißem Kaffee wird uns kühl und wir verabschieden uns. Auf dem Kammweg, einem viele hundert Jahre alten Verbindungsweg, geht es über den Deisterrücken. Am Annaturm machen wir Mittag

Heliotrop zus Landvermessung nach Gauß


Als begeisterte Leser von Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt sind wir natürlich sehr interessiert, als wir in der schlichten Turmgaststätte lesen, dass der erste Turm an dieser Stelle auf Veranlassung des Mathematikers Karl Gauß errichtet wurde. Eine Tafel an der Wand erklärt, dass Gauß in den Jahren 1833/34 hier eine einfache Holz-Stahl-Kontruktion als Messpunkt errichten ließ, vom dem er auch selbst Landvermessungen durchführte. Genau auf dem Bröhn nämlich befindet sich mit 403, 8 Meter der höchste Punkt auf dem Deisterkamm und in der Region Hannover. Das von ihm eigens für die Landvermessung entwickelte Gerät, der sogenannte Heliotrop, kann im Turmstübchen bewundert werden. Schade, dass wir keinen Zehn-Mark-Schein mehr haben. Auf der letzten in Umlauf gekommenen Version waren sie noch beide zu sehen: Karl Gauß und sein Heliotrop.

Beschwingt machen wir den Rest des Weges nach Bad Münder. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne scheint, bis sie schließlich im Westen hinter den Bergrücken des Süntel, der Heimat der Süntelbuchen, verschwindet. Altweibersommer, in seiner schönsten Form. Kaum in Bad Münder angekommen, wird unsere Paarbeziehung auf eine harte Probe gestellt. Mir stinkt unsere Unterkunft, und zwar in des Wortes ureigenster Bedeutung. Hannes war schon den ganzen Vormittag über unruhig gewesen, weil wir noch kein Zimmer für die Nacht gebucht hatten. Er wollte eine Adresse von einer privaten Zimmervermietung, die wir uns zu Hause notiert hatten, anrufen und buchen. Ich wollte lieber abwarten, was wir vor Ort vorfinden würden. Ich übernachte nicht gern in Privatunterkünften. Bestimmt würden wir noch etwas Anderes finden. Hannes ließ nicht locker und seine Miene verdunkelte sich stündlich mehr. Am Ende gab ich nach und Hannes buchte bei Frau A.

Zimmer mit Puzzleschmuck

Erst konnten wir das Häuschen gar nicht finden, es war in einen Hinterhof zwischen anderen Gebäuden und Garagen hineingeklemmt worden. Das erste, was wir dann auf unser Klingeln hörten, war lautes Gebell. Zwei große Doggen (?) – hier gehen unsere Erinnerungen auseinander – versuchten sich an Frau A. vorbei zur Haustür hinaus zu drängen. Das Zimmer war so einigermaßen OK, festgeklebte Puzzlebilder mit Meeresstimmungen vom Mittelmeer und der Südsee an den Wänden, knitterfreie Bettwäsche, das Etagenbad auch mehr oder weniger passabel. Was ich aber nicht ab konnte, war der penetrante Geruch nach Hundehaaren und Zigarettenrauch, der alles überlagerte. Hannes meinte, ich ein neurotisches Geruchsproblem. Er würde im Zimmer nichts riechen. Nur im Flur, aber nur Zigarettenrauch. Aber er riecht sowieso nicht gut. Ich war ziemlich gereizt. Wenn ich auf dem Bett lag und die Augen zumachte, sah ich die Hunde quasi vor mir, so schlimm war der Geruch. Bloß gut, dass auf dem Teppichboden (auch das noch), nicht auch noch Hundehaare lagen. Und alles nur, wegen diesem extremen Sicherheitsbedürfnis. Natürlich hätte es in Bad Münder noch jede Menge Gasthäuser und Hotels gegeben. Und garantiert auch freie Zimmer.

Wir machten, dass wir unter die Dusche im Etagenbad kamen und dann nichts wie raus aus dem Haus. Wir hatten die Haustür noch in der Hand, als mit wütendem Gebell die beiden Riesenköter hinter dem Haus vorgeprescht kamen und direkt vor uns vor einem knapp 50 Zentimeter hohen Gartenzäunchen stehenblieben. Sie bleckten die Zähne und knurrten uns an. Hannes und ich drückten uns rückwärts gegen die Hauswand. Wohin sollten wir fliehen? Wir hätten keine Chance, den Zaun würden die beiden mit Leichtigkeit überspringen. Gottlob kam sogleich Frau A. um die Ecke: „Die tun nichts. Die wollen nur spielen.“ (Kein Witz.) Wir erfuhren, dass die beiden zwar wie Doggen aussehen würden, aber in Wahrheit zwei richtige Kuschelbärchen seien. Wir könnten unbesorgt weitergehen. Alles sei gut. Ganz langsam, die beiden Kuschelbärchen fest im Auge, gingen wir über den Hof und dann ums nächste Haus herum auf die Straße. Hier schnappte ich Hannes fest an der Hand und wir legten einen Zahn zu. Bloß schnell Land gewinnen…
Im Kornhus, einem gemütlich eingerichteten Gasthaus in einem alten Kornspeicher aus der Zeit der sogenannten „Weserrenaissance“ kamen wir zur Ruhe. Die Inhaberin Frau Mildenberger erklärte uns die diversen Bierspezialitäten und brachte uns geduldig verschiedene Sorten zum Probieren an den Tisch. Als sie uns über die Wegstrecke des kommenden Tages diskutieren sah, rückte sie mit ihrem Geheimnis raus: Auch sie und ihr Mann sind begeisterte Wanderer. Einige spektakuläre Touren haben die beiden schon gemeinsam gemacht. Leider können Hannes und ich uns hier rückblickend nicht mehr einigen. Ich war überzeugt, unsere neue Freundin hätte uns von einer mehrwöchigen Treckingtour im Himalaya berichtet. Hannes behauptet, die beiden hätten den Kilimandscharo bestiegen. Wie auch immer, wir beide hörten mit offenem Mund zu. So etwas Großartiges würden wir auch gern mal machen. Das stärkt die Paarbeziehung natürlich ganz anders als ein Marsch auf dem E1. Wie sie sich denn hier im doch eher bescheidenen Mittelgebirge auf so eine Tour vorbereitet haben? Sie grinste. „Eigentlich ganz unprofessionell, immer sonntags von hier aus im Stechschritt zum Süntelturm hinauf.“ Zugegeben, das ist ziemlich unkonventionell und von Höhentraining kann auch keine Rede sein. Aber anscheinend hat es seine Wirkung getan.
Mit dem Heimweg hat es glücklicherweise gut geklappt. Die beiden Kuschelbärchen waren offensichtlich im Bett, alles war ruhig und wir kamen unbeschädigt ins Haus. Im Bett wollte Hannes gern noch einen Blick in die ausliegenden Zeitschriften werfen. Aber das Licht im Zimmer war so funzelig, dass er dazu seine Stirnlampe aufsetzen musste.

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