Immer weiter, bis nach Linderhofe |
Die Herrschaften aus Hameln kommen so gegen 18 Uhr an
Schon bei der Lektüre der Etappenbeschreibung ahnten wir,
dass es hart werden würde: 33 Kilometer Wegstrecke, 1054 Höhenmeter Aufstiege
und fast 800 Meter Abstiege. Wir buchten noch von der Jugendherberge in Hameln
aus ein Zimmer im Hotel zur Burg Sternberg in Linderhofe im Extertal. Auf
unsere vorsichtige Anfrage bei der Hotelrezeption, ob denn die Strecke für
Normalwanderer zu schaffen sei und wie lange wir wohl brauchen würden,
erhielten wir die ausweichende Antwort: Viele Wanderer würden die Strecke in
zwei Tagen machen. Manche packten es aber auch an einem. „Die Herrschaften aus
Hameln kommen dann meistens so gegen 18 Uhr hier an.“ Von einem anderen E1
Wanderer Ehepaar hörten wir zwei Tage später, dass sie es auch an einem Tag
geschafft hatten, aber bei der Ankunft in Linderhofe dann auch total geschafft
waren. Erst nach Einbruch der Dunkelheit seien sie im Hotel gewesen und so
kaputt, dass sie sich das Abendessen ins Zimmer hatten bringen lassen.
Ganz so schlimm ist es uns nicht ergangen. Aber tatsächlich
fehlen uns beiden mehr oder weniger die Erinnerungen an diesen Tag. Erst ging
es von Hameln aus durch den Wald ziemlich steil hinauf zum Klütturm und weiter
durch ein Waldgebiet mit demselben Namen. Später wanderten wir eine kleine
Ewigkeit durch Wiesen und Felder und passierten irgendwann den Golfplatz bei
Schloss Schwöbber. Hier wurde ich fast von einem fliegenden Golfball
abgeschossen. Vor Augen hatten wir die Hohe Asch, ein Aussichtsturm auf 370
Metern, der höchsten Erhebung des Extertals und weithin sichtbar. Hier wollten
wir ausgiebig rasten und uns mit Kaffee oder Bier für den Weiterweg stärken.
Schön wär’s gewesen. Es gab zwar viel Aussicht, das ersehnte Lokal schien sich
aber erst im Bau zu befinden. Dafür klebte dort ein Zettel vom Hotel Sternberg:
Wir erfuhren, wie viele Kilometer noch bis zum Hotel vor uns lagen und dass man
uns aber gern mit dem Auto abholen würde. Telefonnummer anbei. Natürlich
wanderten wir weiter. Und weiter, und weiter bis zum nächsten Zettel mit
Telefonnummer.
Endlich ging es den Berg hinunter und wir sahen ein
Hinweisschild zum Campingpark Extertal. „Da will ich hin. Ich will ein Bier
trinken.“ Ich war vom stundenlangen Geradeauslaufen so ausgepowert, dass sich
meine Gesichtsmuskeln ganz starr anfühlten. Mittlerweile war es auch kühl
geworden. „Ne.“ Hannes war genervt. „Jetzt machen wir keine Pause mehr. Es sind
bloß noch fünf Kilometer bis zum Hotel, das zieh’n wir jetzt durch.“ „Ich kann
nicht mehr und ich will auch nicht mehr.“ Ich war unnachgiebig. „Ich muss mich
jetzt irgendwo reinsetzen und was trinken.“ Entschlossen bog ich in die Einfahrt
zum Campingpark ein. Hannes trabte missmutig hinterher: „Schau, da steht:
Gaststätte ab 17 Uhr geöffnet,“ triumphierte er. „Es ist noch nicht mal ganz
Viertel vor Fünf, wir stehen doch hier jetzt nicht rum und warten, bis die
aufmachen.“ Mir war zum Heulen. Ich ignorierte meinen grantigen Mann und
klingelte an der Tür mit der Aufschrift Rezeption. Und oh Wunder, eine Frau kam
und öffnete. „Können wir etwas zu trinken kaufen?“ fragte ich. Wir konnten. Und
wir durften uns auch in die offiziell noch geschlossene Gaststube setzen und
zuschauen, wie er Sohn des Hauses im großen offenen Kamin ein ordentliches
Holzfeuer entfachte. Behagliche Wärme breitete sich aus. Das Bier stieg sofort
in den Kopf und deckte alle Fuß- und Gliederschmerzen mit einem wohligen Nebel
zu. Jetzt hierbleiben…
Mein sonst so lieber Hannes nippte völlig untypisch an einem
kleinen Pilsfläschchen und schaute demonstrativ alle paar Minuten auf seine
Uhr. „Ja, doch“, maulte ich. „Jetzt lass mich doch wenigstens ein paar Minuten
ausruhen.“ Hannes schimpft in seinen schlimmsten Dialekt: „Sonscht renscht
emmer vornadraus. Ausgerechnet heit, wo’s so weit isch, musch du Bier saufa. I
will oifach net, dass ons wägä dir no d’Naht auf dr Buckl kommt.“
(Normalerweise rennst du immer vorne weg. Ausgerechnet heute, wo wir so eine
weite Strecke haben, möchtest du ein Bier trinken. Ich möchte auf keinen Fall
nach Einbruch der Dunkelheit ankommen.)
Die letzten 5 Kilometer hielt ich den Blick starr auf meinen
Schrittzähler gerichtet und beobachtete, wie der Mechanismus alle 100 Meter
weiterrückte. Als wir im Hotel Burg Sternberg ankamen, wurde es langsam
dämmerig. Wir hatten es geschafft – auch mit meiner ertrotzten Einkehr noch vor
Einbruch der Dunkelheit. Gegessen haben wir beide ganz manierlich im Speisesaal.
Lang gesessen sind wir dort allerdings nicht mehr und auch die Hausbar haben
wir an diesem Abend ignoriert.
2 Kommentare:
Auch hier muss ich meiner Liebsten wohl ein klein wenig widersprechen. So weit ich mich erinnere, war das Zitat: "Die Herschaften aus Hameln erreichen uns gewöhnlich gegen 18 Uhr". Ich vermute ja, dass sie an der Rezeption für diese Aussage einen Zettel gepinnt haben....
Wenn Du schon zitierst, dann bitte korrekt !! :-)
Ich erinnere mich zwar an den Satz nicht mehr, aber - falls ich ihn gesagt haben sollte - lautet er in meinem Idiom so:
„Suscht schprengscht allawei vornadraus. Ausgerechnet heit, wo’s so weit isch, moscht du Bier saufa. I will oafach it, dass eis wägä dir no d’Noht auf dr Buckl konnt.“
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