Hase und Igel und die Frage nach dem richtigen Equipment (Von Ovelgönne nach Dibbersen)
Am nächsten Morgen regnete es wie aus Kübeln. Ich wollte unbedingt nach Buxtehude, wenn wir schon mal in der Nähe waren. Allerdings lag dies nicht in unserer Richtung, sondern von Ovelgönne aus etwa 6-7 Kilometer im Westen. Solch ein Umweg zu Fuß kam natürlich nicht in Frage, aber es gibt ja Öffis. Hannes war einverstanden, weil unsere Etappe an diesem Tag nicht zu lang war. Wir hatten uns von Hamburg aus nicht an die in unserer E1 Bibel (Arthur Krause) vorgesehene Etappeneinteilung gehalten, sondern waren an der Jugendherberge Am Stintfang eingestiegen. Das Stück von dort bis zum vorgesehenen Tagesziel Blankenese war nur 11 Kilometer lang, wir hatten also noch einen Teil der nächsten Etappe dranhängen können und am folgenden Tag daher deutlich weniger als die angegebenen 36 Kilometer zu laufen.
Die von Krause vorgeschlagenen Etappen sind manchmal gehörig lang. 36 Kilometer am Stück war für uns beide so ziemlich das Limit. Solche Strecken haben wir zwar manchmal auch geschafft, aber wirklich Spaß gemacht hat das nicht. Natürlich muss sich die Streckenplanung an den örtlichen Gegebenheiten, vor allem an der Infrastruktur in Form von Gasthäusern, Jugendherbergen oder Pensionen orientieren. Im Großen und Ganzen halten wir uns auch daran. Selten haben wir allerdings zwischendurch ein Stück mit Bus oder Taxi „abgekürzt“. Was wir nie gemacht, von anderen Wanderern aber häufig gelesen haben: Einen Standort gewählt und von dort aus zwei oder drei Etappen gelaufen und mit dem Taxi immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. Das hätte uns irgendwie das Gefühl genommen, unterwegs zu sein. Am angenehmsten sind für uns Tagesetappen von etwa 25 Kilometern. Das ist entspannt zu schaffen und man kommt dennoch voran. Und bei Bedarf hat man genügend Zeit und Muße, unterwegs etwas anzuschauen.
Der sonderbare Ortsname Buxtehude hatte mich schon als Kind fasziniert. Wie konnte eine Stadt bloß solch einen Namen haben? Was es dort wohl sonst noch für Merkwürdigkeiten gab? Keine Ahnung, woher ich von dieser Stadt gehört hatte. Vermutlich aus dem Märchen vom Wettlauf zwischen Hase und Igel, der sich in der Buxtehuder Heide abgespielt haben soll. Die Geschichte fand ich auch klasse. Das unsportliche aber clevere Igelpaar, das den athletischen und eingebildeten Hasen zum Narren hält. Da sieht man’s doch: Geist geht vor Power! Bin schon da.
Wir nahmen den Bus. In Buxtehude angekommen, stellten wir fest, dass es immer noch regnete und die Stadt insgesamt nicht so ungewöhnlich oder gar märchenhaft ist. Dafür hat sie einen originellen Werbeslogan: Buxtehude – schlau, wer schon da ist. Hase und Igel haben wir auch getroffen. Sie stehen in der Fußgängerzone, der Hase in fliegendem Lauf, die beiden Igel satt grinsend in Metall gebannt.
Das Stück von Buxtehude zurück zum Track bei Neugraben-Fischbek machten wir mit dem Zug. Von dort aus ging es dann in die Fischbeker Heide und zwar zunächst auf dem vor einigen Jahren eingerichteten Heidschnuckenweg. Der Weg führt von Hamburg-Fischbek wenn möglich durch naturbelassene Wald- und Heidelandschaften über 223 Kilometer bis nach Celle. Er wurde als Premium-Wanderweg zertifiziert und 2014 zum schönsten Wanderweg Deutschlands gekürt. Der E1 verläuft über große Strecken parallel zum Heidschnuckenweg, spart allerdings etliche Schleifen zu besonderen Sehenswürdigkeiten aus.
Man kann über diese neuen Top-Trails of Germany denken wie man will. (Unter anderem gehören dazu Rothaar-Steig, Westweg, Alb-Steig, Hermansshöhen, Rheinsteig u.a.) Geworben wird mit dem Versprechen, Deutschlands schönste Gegenden professionell zu erschließen und dabei Verlaufen dank hervorragender Ausschildung „unmöglich“ zu machen. Klar geht es auch hier ums Geschäft. Aber auch um sanften Tourismus, um Verständnis für Natur und Umwelt und die Liebe zu einer Landschaft, die uns umgibt und für deren Entdeckung wir nicht erst 5 Flugstunden hinter uns bringen müssen. Ich kann nichts Verwerflichen an dem Versuch finden, durch Wandergäste etwas wirtschaftlichen Aufschwung in strukturschwache Regionen zu bringen. Die Infotafeln am Wegesrand haben mich viele Besonderheiten entdecken lassen, an denen ich sonst vielleicht vorbeimarschiert wäre. Wer nicht belehrt werden will, muss sie ja nicht lesen.
Beginn des Heidschnuckenwegs |
Der Heidschnuckenweg ist der nördlichste Top-Trail of Germany. Für mich war es die erste Begegnung mit der norddeutschen Heidelandschaft. Ich fand’s wunderschön. Das Hineintauchen war abrupt und überwältigend. Eigentlich ging es bloß aus dem Wohngebiet über die Straße, über einen Parkplatz und mitten hinein in die Fischbeker Heide. Wir hatten den perfekten Zeitpunkt erwischt. Die Heide war überall am Blühen. Es sah genauso aus, wie auf dem großen Bild mit dem dicken Goldrahmen, das bei meinen Großeltern früher über dem Klavier hing: Ein Sandweg, rechts und links Birken, und der Boden mit rosa blühendem Heidekraut bedeckt, soweit das Auge reicht. Das Bild hatte für mich immer einen unechten und kitschigen Touch gehabt. In der Familie nannten wir es „den Wiederfinder“, weil jemand mal behauptet hatte, er könne sich in dem Motiv gut wiederfinden. In der Natur war nichts kitschig. Wir waren noch kaum vom S-Bahnhof Neugraben-Fischbek entfernt, und doch schon in einer andern Welt. Wir wanderten, nein, wir schritten in sanftem Auf- und Ab über die Wald- und Heidewege.
Hannes blieb immer öfter zurück. Ich dachte mir erst nichts dabei. Wahrscheinlich hat er mitten in der Heide mal wieder kein Netz… Als klar war, dass wir gemeinsam auf Tour gehen würden, hatte mein Schatz sich erst mal wandertechnisch auf den neuesten Stand gebracht und einen Garmin E-Trex gekauft. Dieses Gerät hat uns bei unseren Wanderungen auf dem E1 und auf vielen anderen Wegen gute Dienste geleistet. Es erspart es uns, einen Packen an Kartenmaterial mitzuschleppen und reduziert die Möglichkeit, sich zu verlaufen, auf ein Minimum. Ganz zu schweigen von dem Spaß, den wir regelmäßig haben, wenn wir abends unsere Tourdaten auswerten können. Da weiß man wenigstens, wofür man den ganzen Tag gelaufen ist, wenn man seine Bilanz an Streckenkilometern und Höhenmetern genüsslich beim Feierabendbier studieren kann. Aber damit diese Bilanz dann auch stimmt, braucht der Garmin natürlich unterwegs verlässlich Kontakt mit seinem Satelliten. Fällt die aus, endet die Aufzeichnung und wir laufen quasi umsonst. Streckenwanderers Supergau! Es gehört zu Hannes‘ Aufgaben, das störungsfreie Funktionieren unseres Garmin regelmäßig zu überprüfen. Dazu hat er die kleine Box auf Brusthöhe mit einem Klettverschluss am Rucksackträger festgeschnallt. Ein Griff, und er hat sie in der Hand. Der zischende Ritsch gehört für mich mittlerweile zu den vertrautesten Geräuschen unterwegs.
Aber wie gesagt, das Netz hat mitunter Löcher und immer wieder höre ich meinen Liebsten fluchen, der „Drecksgarmin“ finde mal wieder keinen Satelliten. Zum Glück habe ich für diese Fälle grundsätzlich meinen kleinen Tageskilomterzähler mit simplem Schrittzähler dabei. Falls also unser High-tech-Gerät ausfällt, haben wir immer noch unser Minigerät aus der Wandersteinzeit zur Kontrolle. Mit zwei Geräten haben wir auf öden Streckenabschnitten auch die kleine Ablenkung, dass wir unsere Kilometerstände vergleichen und über die Zuverlässigkeit und korrekte Einstellung der Instrumente diskutieren können. Auf den bolzengeraden Teerwegen entlang der niedersächsischen Maisfelder waren wir geradezu dankbar für diese Möglichkeit.
In der Fischbeker Heide war aber nicht der Garmin an Hannes‘ Zurückbleiben Schuld. Zumindest nicht nur. Mein Liebster hatte Fußprobleme. Wir hatten gelesen, dass für Weitwanderungen richtig feste Wanderstiefel, am besten Bergstiefel am besten geeignet seien. Also hatte sich Hannes für unsere Tour durch Niedersachsen ein paar neue Lowa Bergstiefel gegönnt. Länge und Passform waren ideal. Dummerweise hatte er aber nicht daran gedacht, die vom Werk vorgegebene Weiteneinstellung am Vorderfuß seiner Fußform anzupassen. Und so litt mein armer Schatz immer größere Schmerzen, je mehr seine Füße im Lauf des Tages von der Hitze aufquollen. Des Rätsels Lösung, die Schnürung komplett zu öffnen und deutlich lockerer einzufädeln, ist ihm leider erst nach unserer Tour wieder zu Hause eingefallen.
Wie beschwingt es sich ohne eingeklemmte Fußnerven wandert, erlebten wir an einem Schweizer E1-Wanderer. Dieser Eidgenosse war barfuß in Wandersandalen unterwegs und trug bei regnerischer Witterung einen fast knöchellangen roten „Überwurf“. Wir nannten ihn deshalb „der Wanderprediger“. Er war für ein paar Tage unserer Mitwanderer und übernachtete wie wir in der Jugendherberge Bispingen. Er hatte sich eine Auszeit von zwei Monaten genommen und wollte in dieser Zeit so weit wie möglich Richtung Süden kommen. Wenn möglich, bis in die Schweiz. Wir hätten gern erfahren, ob er es geschafft hat. Der Mann war etwa in unserem Alter und allein unterwegs. Sein Wandertempo war extrem langsam, wir hatten ihn morgens immer recht bald eingeholt, obwohl er vor uns losmarschiert ist. Allerdings hat er dieses Tempo den ganzen Tag konstant beibehalten und kaum Pausen gemacht, so dass er gegen Ende des Tages dann wieder an uns vorbeigezogen ist. Auf meine Frage, ob es denn auf Dauer für die Gelenke nicht anstrengend sei, nur in Sandalen zu wandern, meinte er: „Mir ist das wöhler so.“ Er sei auch in den Bergen so unterwegs.
Von den Bergstiefeln sind wir später auch abgekommen. Wenn wir wissen, dass wir vorwiegend auf guten Wegen unterwegs sind und keine steilen Abstiege zu bewältigen haben, nehmen wir fast nur noch unsere Leichtwanderschuhe bzw. Leichtwanderstiefel. Man hat zwar etwas weniger Halt, dafür tut man sich auf langen ebenen Strecken deutlich leichter.
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